Kinder in die NVA! (Antwort auf eine Kommentarfrage)

Die Erlebnisse, die ich in diesem Blog schildere, sind aus dem eigenen Erleben oder aus dem meiner Bekannten. D.h., ich kann sie nicht wissenschaftlich belegen, ich bin keine Historikerin und habe keinen Zugang zu Akten und Archiven. Allerdings glaube ich, dass vieles, was in der DDR geschah, nicht in Gesetzesform gegossen war, vielleicht auch regional verschieden gehandhabt wurde.

Meine Bekannte erzählte mir vor Kurzem sehr anschaulich, wie ihr Sohn (Jahrgang 1975) in der dritten oder vierten Klasse für die NVA (Nationale Volksarmee) geworben wurde. „Zwei Lehrerinnen kamen zu uns, und wie die uns bearbeitet haben! Er hätte dann viel schlechtere Bildungschancen oder keinen Zugang zum Hochschulstudium. Und er müsse, wenn er studieren will, ja sowieso 3 Jahre zur Armee, da könnten sie doch schon jetzt die Entscheidung treffen“. Die Familie hat sich geweigert, die Entscheidung war ihnen zu weit reichend, und später wurde sie sowieso obsolet.

Die Hypothese, dass man nur studieren darf, wenn man sich für eine 3-jährige Dienstzeit bei der NVA verpflichtet (im Gegensatz zum nur 1 1/2 -jährigen Pflichtwehrdienst), war allgemein verbreitet und wurde auch allgemein angewandt, jedenfalls für begehrte Studienrichtungen. Aber nicht immer. Ich kenne sogar Leute, die Medizin studiert hatten, trotz nur 1 ½ Jahre Armee. Es hing sehr vom Einzelnen ab, von seiner Durchsetzungsfähigkeit und Hartnäckigkeit. Manchmal hing der Zugang zum Studium auch nicht von der Wehrdienstdauer ab, sondern von der Bereitschaft, sich für bestimmte Dinge zur Verfügung zu stellen. Aber auch das musste nicht sein, man sollte immer den Einzelfall kennen.

Das übergroße Interesse, junge Leute in die Armee zu pressen, war allumfassend in der DDR. Da war der Wehrkundeunterricht, der ab 1978 allgemein und für jeden verbindlich in die Schulen eingeführt wurde. Auch da gab es einige Hartnäckige, oft aus christlichen Elternhäusern, die sich weigerten, daran teilzunehmen, und jeder hat dabei seine eigene, besondere Geschichte erlebt.

Studenten erzählten mir, mit welch Methoden Theologiestudenten genötigt worden waren, an der vormilitärischen Studentenausbildung teilzunehmen. Die Theologiestudenten, die damals für ihre Haltung „Friedenschaffen, ohne Waffen“ bekannt waren, wurden durch eine raffinierte Methode unlösbar mit den jahrgangsmäßig gleichen Studenten anderer Fachrichtungen verquickt, und nicht nur dass, sondern auch mit deren Karrierechancen, so dass ein anständiger Theologiestudent die vormilitärische Ausbildung nicht verweigern konnte, weil er anderen, ihm unbekannten Studenten damit schadete.
C. Araxe - 24. Nov, 20:20

Beim Wehrunterricht (nicht Wehrkundeunterricht) hatte ich als Mädchen ja Zivilverteidigung. Im theoretischen Teil wurden z. B. verschiedene Alarmsignale von Sirenen vorgespielt oder in einem sehr langen Dia-Vortrag verschiedenste Verletzungen gezeigt, bei dem regelmäßig Schülerinnen schlecht wurde. Ich kann mich da beispielsweise an einen Rangierarbeiter erinnern, der zwischen zwei Waggonpuffer geraten war. Praktisch wurden solche Sachen wie Gasmaske in ein paar Sekunden aufsetzen geübt und gern dazu auch noch Liegestütze mit Gasmaske hinterher. Es kam aber ziemlich darauf an, mit wem man es zu tun hatte. So sollten wir mit einem Feuerwehrmann das Robben üben. Wir stellten uns dumm und er sollte uns das erst einmal zeigen. Danach behaupteten wir, dass wir das nicht könnten und die Angelegenheit war erledigt.
Bei den Jungs im Wehrlager ging es hingegen weitaus härter zu und es wurde absolut kein Spaß verstanden. Das war ganz klar schon eine vormilitärische Ausbildung.
Es war jedoch nicht nur der Wehrunterricht, der militärische Praxisübungen beinhaltete. In späteren Jahren des Sportunterrichts (ab welchen Jahrgang weiß ich leider nicht mehr genau) gehörte Granatenweitwurf und -zielwurf dazu. Bei den Mädchen waren es die F1-Handgranaten, bei den Jungs waren es Stabgranaten (M?). Ohne Sprengladung, aber trotzdem erschreckend genug.

anne.c - 24. Nov, 22:10

Danke für die interessanten Schilderungen (ich bin zu alt, meine Kinder waren zu jung, als dass ich die "inneren" Einblicke bekam). Aber 20 Jahre früher, da war es gar nicht so viel anders, nur dass sich das bei den Mädchen "Sanitäter-Ausbildung" nannte. Wir nahmen es als Spaß, und ich habe eher lustige Erinnerungen daran.

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