Auf dem Berg der Seligpreisungen

(Ein Erlebnis auf meiner zweiten Israelreise, 2010, einer Individualreise)

Der Berg der Seligpreisungen bescherte uns ein eigenartiges Erlebnis: Oben am Parkplatz, gleich neben einer Klosteranlage, trafen wir auf eine süddeutsche christliche Reisegruppe. Wir schlossen uns an und folgten ihnen auf versteckten Wegen, die die Bergkuppe hinunterführten zu einer Stelle, wo man einen besonders schönen Blick auf den See hat. Dort ist eine Gruppe Olivenbäume malerisch auf dem Hügel verteilt, und unter einem der Bäume gab es, wohl für pastorale Zwecke, einen Sitz mit einem altarähnlichen Stein davor – dort soll Jesus die Bergpredigt gehalten haben.

DSCN00051

Wir trafen gerade wieder auf die Gruppe, als ihr Reiseleiter zur Auslegung der Bergpredigt anhob: Die Seligpreisungen überging er: „da sie ja allgemein bekannt sind“, und er konzentrierte sich auf die Auslegung der auf die Seligpreisungen folgenden „Gesetzesverschärfungen“. Das führte er in der Weise aus, dass er immer gegeneinander stellte: die hohe moralische Überlegenheit der christlichen Religion gegen die niedere Geisteshaltung des Judentums, das nicht zur Vergebung fähig wäre. Seine Schäfchen hörten ihm schweigend und ergriffen zu.

Ich war überrascht: wie in deutschen christlichen Reisegruppen geredet wird, wenn der israelische Fremdenführer gerade nicht dabei ist, das weiß ich gut, sowohl aus eigenem Erleben als auch aus Berichten christlicher Reisender. Dass man sich allerdings auf den Berg der Seligpreisungen zurückzieht, um ungestört die Regungen des eigenen schlechten Gewissens ins Gegenteil zu ziehen, das war mir neu.

Zwei Tage später saßen wir 50 km südlich im Kibbuz E.H. beim Kaffeetrinken. Wir lernten Y.s zweite Frau kennen. Nur um wenige Jahre jünger als er, war sie alt genug, dass sie auf ihrem Arm das Brandmal einer Auschwitz-Nummer hatte. Beide bewirteten uns freundlich und führten uns durch den Kibbuz. Und ich dachte: „Das sollen also die sein, die nicht vergeben wollen, und die da auf dem Berg das sind die moralisch Überlegenen!“ Ich bezeichnete unser Erlebnis da oben als „pastorale Groteske“ und war in meinem Misstrauen gegen „Idyllen“ bestätigt.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

redigierter Kommentar...
redigierter Kommentar von Herrn wvs (13.06.21): "@...
NeonWilderness - 14. Jun, 22:13
Hm, vielleicht bin/war...
Hm, vielleicht bin/war ich zu sehr in diesen ganzen...
C. Araxe - 6. Jun, 23:16
Von meinen ersten Westreisen...
Worauf ich erst einmal hinaus will, ist eigentlich...
anne.c - 6. Jun, 22:18
Von meinen ersten Westreisen...
Als ich mit dem geräuschlosen Intercity durchs Land...
anne.c - 1. Jun, 14:03
Hysterie Teil 2
Lew Tolstoi "Hadschi Murat" (Kap. 15) : Zar Nikolaus...
anne.c - 20. Mai, 20:03
Hysterie
Meine Definition für Hysterie: „Ein Hysteriker hat...
anne.c - 14. Mai, 22:55
"Niemand hat größere...
Am Sonntag, während ich Obstsalat für meine Familie...
anne.c - 12. Mai, 13:27
Wie zwei verschiedene...
Wie zwei verschiedene Menschen Dasselbe völlig anders...
anne.c - 6. Mai, 19:05
Mal abgesehen davon,...
Mal abgesehen davon, dass die Kritik an dieser Aktion...
C. Araxe - 5. Mai, 19:05
Ein Schülervortrag über...
Vor nicht langer Zeit wurde ich um Hilfe für einen...
anne.c - 5. Mai, 11:48

Links

Suche

 

Status

Online seit 5051 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 24. Jul, 02:02

Disclaimer

Entsprechend dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12.05.1998 gilt für alle Links und Kommentare auf diesem Blog: Ich distanziere mich hiermit ausdrücklich von allen Inhalten aller verlinkten Seitenadressen und aller Kommentare, mache mir diese Inhalte nicht zu eigen und übernehme für sie keinerlei Haftung.

Impressum

Anne Cejp
Birkenstr. 13
18374 Zingst

development