Anschwellende und wieder abflauende Diskussionen (Teil 1)

Es mag etwa 15 Jahre her sein, als sich in einer Stadt ein Literaturkreis gründete. Eine neu hinzu gezogene Frau wollte das kulturelle Leben der Stadt etwas bereichern (fast immer sind es die neu Hinzugezogenen, die solcherart Initiativen ergreifen), und warb in der Lokalzeitung um Teilnehmer für so einen Kreis. Ich dachte, es könne nicht schaden, wenn ich erfahre, was die Leute lesen und was sie darüber denken, und so wurde ich zu einer der ersten von anfangs zahlreichen Teilnehmern. Der Kreis bestand über lange Zeit. Die Entwicklung von einem offenen Kreis mit ´gehobenem Anspruch´, bei dem sich die Zahl der Teilnehmer nach und nach sehr reduzierte zu einer gemütlichen, festen und geschlossenen Truppe, wo man sich nach einem ausgiebigen Kaffeetrinken erzählte, was jeder so in letzter Zeit gelesen hat, wäre einer Erzählung Wert. Ich habe es nicht bereut, in jeder Phase dabei gewesen zu sein. Der Kreis hat mir sehr viele Eindrücke beschert.

Ob sich die Diskussion, von der ich erzählen möchte, am ersten oder an einem der folgenden Literaturabenden zutrug, weiß ich nicht mehr. Konzipiert waren die Literaturgespräche so, dass alle Teilnehmer, jeder für sich, ein bestimmtes Buch liest, und man beim nächsten mal darüber gemeinsam diskutieren sollte. Für den ersten oder zweiten Abend war das Buch „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ von Amoz Os vorgeschlagen. Ob es Zufall war, dass der Vorschlag von einer Frau kam, die sich im Verlauf der Jahre als eiserne Palästinenserfreundin, und – man kann schon sagen -, Israelfeindin herausstellte, weiß ich nicht, aber es gibt auch unbewusste Zufälle. Das Buch - es trägt autobiographische Züge -, handelt von der tragischen Kindheit des Protagonisten. Die stand neben dem Selbstmord der Mutter im Zeichen der Gründung des Staates Israel und des unmittelbar darauffolgenden Angriffs arabischer Staaten auf Israel. Etwa die Hälfte der Leser konnte mit dem Buch nicht viel anfangen, da sie zu wenig geschichtliches Wissen über jene Ereignisse hatte. Manche Leute fanden das Buch als Roman spannend und ergreifend. Es kam jedenfalls eine rege Diskussion zustande. Mit Tuvia Tenenbom würde ich sagen: „Ich kann es gar nicht begreifen, dass wir schon wieder bei den Juden sind!“

Es kam, wie es kommen musste: Kein Jude war anwesend, aber der Kreis von gut meinenden und selbstgerechten Deutschen redete sich in Rage. Hier gab es, im Gegensatz zu politisch korrekt organisierten Vorträgen keine haarscharfe Trennung zwischen `Juden` (über die man in getragenem Ton redet, etwas verlegen und: es war schlimm, damals!) und `Israeli´ (über die man sehr genau viel Nachteiliges und Böses weiß). Es geriet alles durcheinander. Ich glaube, die meisten waren sich nicht einmal bewusst, was sie sagten, denn ich hörte neben mir eine Frau sagen: „Ja, ich weiß auch nicht, warum die Juden für uns so ein rotes Tuch sind, wie sie da mit ihren Schiffen in´s Land eingefallen sind!“ Es gab kein gegenseitiges Antworten oder Argumentieren, es war mehr eine allgemeine Aufregung.
(Fortsetzung folgt)

Im Luftreich des Traums

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