Der Professor aus Heidelberg (Teil 2)

Dem Referat anschließend erfolgte eine Auswertung in kleineren Gruppen. Der Zufall führte mich in eine Gruppe von 8 Personen. Das Resümee, um es vorweg zu nehmen, würde ich so bezeichnen: „Die Botschaft hört´ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“.

Die Gespräche waren interessant. Eine junge Pastorin nutzte die Gelegenheit, um die Idee vom bedingungslosen Grundeinkommen vorzustellen. Die Idee wurde als interessant empfunden, weil man der Meinung war, dass Menschen auf jeden Fall sinnvoll tätig sein möchten, das Grundeinkommen also nicht zum Nichtstun verleite. Ein andere Frau sagte, dass ihr der Vortrag gut gefallen habe, eigentlich wäre sie gleicher Meinung wie der Professor (von der in Zukunft nötigen Abschaffung der Geldwirtschaft), sie könne sich aber nicht vorstellen, wie das verwirklicht werden solle. Ein Pfarrer beklagte, dass er erst nach der Wende das Wort „Besitzstandswahrung“ kennen gelernt hatte. Denn die westdeutschen Pfarrer hatten, um eben jenen zu wahren, es abgelehnt, einen Teil ihres Gehaltes zu opfern, um ostdeutschen Pfarrern ein ebenso hohes Gehalt wie sie selbst es hatten, zu ermöglichen. Ob unser Moderator, ein Pfarrer mit „Westsozialisation“ darüber beschämt war, weiß ich nicht, zum Glück war er in einem Alter, wo damals seine Besitzstände noch nicht allzu hoch gewesen sein können.

Im Stillen dachte ich an eine Episode von vor gut 25 Jahren, als mir ein Synodaler lebhaft geschildert hatte, wie auf einer pommerschen Synode ein Pfarrer den Vorschlag gemacht hatte, 5 % des Gehaltes, auch wenn es leider nur 80 % des Westgehaltes betrug, für einen Fond bereit zu stellen, der dem damaligen Abbau von Pfarrstellen hätte entgegenwirken können. Die Empörung seiner ostdeutschen Amtsbrüder war nicht geringer als zuvor die der westdeutschen. Gern hätte ich auf meinen Zettel – denn wir spielten ein in kirchlichen Kreisen unvermeidliches Zettelspiel – geschrieben: „Eher wird ein Kamel durch ein Nadelöhr gehen, als dass ein Pastor, egal ob Ost oder West, von seiner Besitzstandswahrung ablässt“, aber ich wollte niemanden verunsichern.

So behielt ich meine Gedanken für mich, sagte aber, dass ich nichts gegen Geld habe, denn ich hätte diese Tausch- und Beziehungswirtschaft in der DDR immer als sehr umständlich gefunden. Und dass ich der Meinung sei, es wäre eine persönliche Entscheidung jedes einzelnen Menschen, wie er zum Geld stehe und wie er damit umgehe. Und dass der Zwang, sein Leben mit finanziellen Mitteln zu bestreiten, zwar oft mit Unannehmlichkeiten verbunden sei, aber dass es auch in unserem Land Menschen gäbe, die sich die Freiheit nähmen, z.B. in Kommunen zu leben, von datumsverfallenen Lebensmitteln zu leben oder sich auf ein ausgeklügeltes Tauschsystem einzulassen. Ab und zu werden solche Menschen sogar in den Medien vorgestellt. Fast jeder in der Runde hatte schon von solchen Menschen gehört, und so wurden meine Ausführungen mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, und es wurde ihnen nicht widersprochen. Zum Schluss meinte man, dass das bedingungslose Grundeinkommen eines Versuches Wert sei. Da ich danach zu einem Termin eilen musste, der ausgerechnet dem Geld verdienen diente, konnte ich an der allgemeinen Endauswertung nicht teilnehmen.

So holte mich diese Auswertung auf den Boden der Realität zurück und bestätigte, dass Menschen interessanter sind als Theorien und dass man zwar mit einer Theorie „im Luftraum des Traums“ schweben kann, aber dass Träume von der Realität eingeholt werden.

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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