Mittwoch, 11. November 2020

Geschichten aus der DDR: Wie die Stasi und ich uns gegenseitig austricksten

Es ist noch nicht lange her, da wurde meine alte Mutter ins Kino eingeladen in den Film „Das Leben der anderen“. Ich habe sie selten so wütend erlebt wie nach dem Film: „So ein Schund! So war die Stasi nicht, das hatte nichts mit der Stasi zu tun, ich kenne die doch!“

Wir rekonstruierten die Zeit als mein Bruder M. zum Stasiopfer wurde. Mein 26-jähriger Bruder wohnte im Jahr 1980 in Ostberlin. Auf der Durchreise wollten wir ihn besuchen, fanden aber seine Wohnung von der Polizei versiegelt. Uns schwante nichts Gutes. Bald darauf wurde meine alleinstehende Mutter mehrmals von der Stasi wegen ihres Sohnes verhört. Sie hatte keine Angst vor der Stasi, bekam aber genügend Gelegenheit, sich mit deren Mentalität und Gepflogenheiten bekannt zu machen. Mein Bruder wurde wegen des Vorhabens der Republikflucht angeklagt. In Wirklichkeit hatte er keine konkreten Fluchtpläne, lebte aber ein unstetes Leben und gehörte zu der Sorte Mensch, die die DDR gern losgeworden wäre. Da war es sinnvoll, das Gute mit dem Nützlichen zu verbinden. Man verhaftete also so einen Menschen unter irgendeinem Vorwand und ließ ihn dann von Westdeutschland für viel Geld freikaufen.

Vieles, was die Stasi unternahm, war willkürlich, es lief aber alles formal nach bestimmten Gesetzlichkeiten ab. So fanden sich einige „gute Freunde“, die Spitzelberichte schrieben welche beinhalteten, dass mein Bruder und ein Kumpel mit einem langen Seil Lasso werfen geübt hatte, um mittels des Seils, das in Berlin von Osthaus zu Westhaus geschwungen werden sollte, von Ost nach West zu gleiten. Das war völlig verrückt, aber das Denken junger Leute in der DDR kreiste damals sehr um das Thema: `wie könnte ich „abhauen“?´ Die Übung hatte tatsächlich stattgefunden, und das Seil gab es auch. Die Beweislage musste zu einem gerichtsverwertbaren Prozess zusammen geschustert werden. Der Bruder saß 6 Monate in Stasiuntersuchungshaft, um dann nach einer Gerichtsverhandlung noch 4 Monate im „normalen“ Gefängnis zuzubringen. Anschließend wurde er in den Westen (für viel Devisen) abgeschoben.

(Lustig sind dabei Details: wie der Bus mit den etwas verlottert angezogenen Ost-Verlassenden einen Extrahalt einlegte, alle sich ihrer Kleidung entledigen mussten und in DDR-Dederonanzüge gesteckt wurden, damit man sieht, wie „anständig“ die DDR ihre Bürger ziehen lässt. Die Anzüge riefen bei ihren Trägern große Empörung hervor. Mein Bruder erzählte uns auch die Redewendung, dass man zu Gefangenen, die aus welchen Gründen auch immer, sich entschlossen hatten, doch im Osten zu bleiben, sagte: „Er macht den Zonenstich“, eine Metapher die bald in unseren Sprachschatz einging).

(Fortsetzung folgt)

Im Luftreich des Traums

gegen Ideologien

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